Alan Watts über die Gesellschaft, Identität und das Schweigen

Der englische Philosoph und Redner Alan Watts gilt als einer einflussreichsten Vermittler zwischen östlicher und westlicher Weltanschauung und seine Ansichten faszinieren mich seit Jahren. Ich kehre regelmäßig zu seinen Lektionen zurück. Besonders dieser kleine Auszug hat viel Bedeutung für mich. Er mag zwar kurz sein, doch zeigt er sehr eindrucksvoll, wie viel Missverständnisse in unserer Gesellschaft bezüglich Identität bestehen.

Alan Watts beschreibt wie wir uns oft missverständlicher Weise mit den Rollen identifizieren, die wir durch unser Umfeld erhalten. So viel mehr als nur nur Tochter oder Sohn, Schneider oder Matrose sind. Um das zu erfahren, muss sich aber vom gesellschaftlichen Einfluss zurückgezogen werden.

Hier das Video, des gesamten Talks von Alan Watts zu diesem Thema. Ich empfehle es dir anzuschauen, bevor wir uns genauer damit beschäftigen, was er damit genau meinte (wenn du kein Englisch verstehst überspringe das Video einfach):

Übersetzung: Die Gesellschaft, Identität und das Schweigen

„…Du siehst, was passiert, ist, dass ein Mensch, der sein ganzes Leben lang das soziale Spiel gespielt hat, dann sagt:

«Nun, jetzt habe ich das getan. Ich habe diese Rolle angenommen. Ich habe mich mit dem Beruf des Kesselflicker, Schneider, Soldaten oder Matrosen identifiziert, was auch immer es war.
Aber jetzt: Wer bin ich? Wirklich.
»

Um das herauszufinden, musst du dich selbst auf den Weg machen. Warum? Weil du ein Rollenbild hast, ein maskiertes Bild von dir selbst. Weil andere Menschen dir sagen, wer du bist.

Das Watts in diesem Kontext von einer Art Maske spricht ist wenig überraschend und es ist anzunehmen, dass er hiermit auch die Persona der analytischen Psychologie anspricht, die der schweizer Psychater Carl Gustav Jung begründete, den Watts sehr schätzte und in 1958 auch persönlich traff. Jung beschreibt mittels der Persona, die Rolle, welche wir in der Gesellschaft einnehmen und stellt klar, dass diese nie unser wirkliches Ich sein kann. Falls du mehr über Jung’s Modelle erfahren willst findest du hier einen Artikel über das kollektive Unbewusste.

In jedem sozialen Austausch, in den alltäglichsten Äußerungen sagen wir anderen Menschen ständig, wer sie sind. Die Art und Weise, wie ich mich dir gegenüber verhalte, wie du dich mir gegenüber verhältst, sagt mir, wer ich bin und sagt dir, wer du bist.

Wenn du zum Beispiel hier sitzt und mir beim Reden zuhörst.

Damit sagst du mir, dass ich eine Art Lehrer bin und du sagst dir selbst, dass du eine Art Schüler bist. Und das ist nur eine Sache, verstehst du? Ein kleiner Vorfall. Im Geschäftsleben, zu Hause oder auf der Arbeit sagt dir jeder um dich herum, was du bist und wer du bist, indem er ein bestimmtes Verhalten von dir erwartet, das du, wenn du ein vernünftiger und sozial eingestellter Mensch bist, auch erfüllst.
Denn das ist es, was von dir erwartet wird, damit du weißt, wer du bist.

Und wenn du genug davon hast, dann erkennst du: «Lass uns auf das alles nicht mehr hören.»
Deshalb ist eines der ersten Dinge, die der Śramaṇa oder der Wanaprasta praktiziert, das Schweigen. Das nennt man Mauna und er kann ein Gelübde ablegen, einen Monat oder ein Jahr lang nicht zu sprechen.

Ein Sramaṇa (korrekt Śramaṇa) ist ein wandernder Bettelmönch und Asket, der stets bemüht ist jeglicher Art von Verlangen zu widerstehen, was auf uralte Traditionen zurückgeht, die später in den Buddhismus und auch ins Yoga einflossen. Es gibt mehr als nur eine Definition eines Sramana, aber sie alle haben Verzicht und Widerstehen von Verlangen gemein, der für das Erreichen eines höheren oder religiösen Ziels notwendig ist.

„Nach einem Monat Mauna hast du nicht nur aufgehört zu sprechen, sondern auch in Worten zu denken, und das ist eine sehr merkwürdige Erfahrung.
Denn alle Sinne nehmen eine ungeheure Intensität an. Du siehst Dinge, die du nie zuvor gesehen hast, da du aufgehört hast, die Welt durch dein Denken zu kodifizieren und zu klassifizieren.

Sonnenuntergänge erscheinen unglaublich lebendig und Blumen sind bezaubernd. Die ganze Welt wird für den Mauni lebendig.“

Eigene Gedanken zu diesem Monolog

Die eigene Identität ist etwas unglaublich komplexes und ich denke, dass äußere Einflüsse dazugehören und einen prägen dürfen. Dennoch bin ich der Meinung, dass wir heutzutage in dieser Hinsicht meist eine extreme Neigung zu einer extern geprägten Identität haben und uns daher oft nur anhand dieser identifizieren.

Das hat oft zur Folge, dass wir bei Verlust von Job oder sozialen Stellung eine innere Krise erleben, die kaum oder in extremen Fällen gar nicht zu bewältigen ist.

Dem durch Schweigen und zeitweilige Isolation entgegenzuwirken erscheint mir als wichtig und somit etwas das wir alle von Zeit zu Zeit tun sollten. Was aber definitiv unerlässlich ist, ist es sich regelmäßig bewusst zu machen, dass man so viel mehr ist, als die Rollen, die uns unser Umfeld gibt.

Wir laden dich dazu ein einen Augenblick darüber nachzudenken, ob du schon mal das der Unzufriedenheit hattest, wenn dich dein Umfeld besonders stark mit einer solchen Rolle identifiziert hatte. In solchen Momenten kommen einem oft – mal mehr und mal weniger klar – Gedanken, ob das alles sei, als was die anderen einen wahrnehmen oder, dass man mehr sein möchte (oder mehr ist) als die jeweilige Rolle.

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