Alan Watts: Weshalb wir uns weltfremd fühlen
Viele Philosophen haben sich mit der Frage auseinander gesetzt, wer oder was wir als Menschen eigentlich sind. Damit meinen die wenigsten, ob wir haarlose Nachfahren von Affen sind oder die Schöpfung eines Gottes, sondern was uns als Mensch ausmacht. Alan Watts hat seine Ansichten in diversen Vorträgen dargelegt. In diesem Beitrag geht es darum, wie Alan Watts die menschliche Natur schilderte.
Laut Watts fühlen wir uns zum größten Teil als Fremder in dieser Welt, da wir uns seit klein auf durch Worte von ihr trennen. Uns werden Ansichten aufgedrängt, die nicht unbedingt die unseren sind. Besonders in der westlichen Kultur sehen wir uns als Krönung der Schöpfung und werten damit alles außerhalb von uns ab. Wir fühlen, dass wir in diese Welt hineingeboren werden, anstatt aus ihr heraus.
Hier ein kurzes Video, eines Talks von Alan Watts zu diesem Thema. Ich empfehle es dir anzuschauen, bevor wir uns genauer damit beschäftigen, was er damit genau meinte (wenn du kein Englisch verstehst überspringe das Video einfach):
Sinngemäße Übersetzung
Schauen wir uns nun auch den Monolog an. Ich habe mir erlaubt ihn mit einigen Kommentaren zu versehen, um tiefere Bedeutungen und auch Bezüge etwas näher zu erläutern:
„Was glaubst du wer du bist? Die meisten Leute denken, dass sie ein Zentrum der Empfindsamkeit in ihrer Haut sind. Die meisten lokalisieren dieses Zentrum in ihrem Kopf. In verschiedenen Epochen und verschiedenen Zivilisationen wurde dieses Gefühl an verschiedenen Orten im Körper gefühlt.
Manche fühlten dieses Zentrum im Solar Plexus, andere im Bauch. In der westlichen Kultur fühlen es die meisten hinter ihrer Stirn. Als würde ein kleiner Mann in der Mitte des Kopfes sitzen. Er hat einen Fernseher vor sich, mit dem er die Informationen der Augen abrufen kann, Kopfhörer um die Nachrichten der Ohren zu empfangen und er empfängt auch alle möglichen Informationen von den Nervenenden. Der kleine Mann hat auch eine Bedienoberfläche vor sich, mit dem er die Arme und Beine Steuern kann. Und das sollst Du sein.“
Ich glaube die Meisten von uns stimmen dieser Ansicht zu. Ich für meinen Teil zumindest, fühle das was ich als „Ich“ beschreiben würde, in meinem Kopf. Schließlich laufen hier ja auch alle Informationen die unser Körper sammelt zusammen, und werden Verarbeitet. Wie siehst du das?
„Umgangssprachlich sagen wir nicht, dass wir ein Körper sind, sondern einen Körper haben. Ich bin also in dem Sinne der Besitzer dieses Körpers, wie man der Besitzer eines Autos ist. Ich kann das Auto zum Mechaniker bringen und im gleichen Sinne kann ich meinen Körper zum Chirurg oder zum Zahnarzt bringen und ihn reparieren lassen. Im Endeffekt aber stecke ich in diesem Körper. Ein Kind kann seine Mutter fragen, wer es geworden wäre, wenn sein Vater ein anderer gewesen wäre und das ist eine berechtigte logische Frage. Schließlich scheint es so als hätten uns unsere Eltern einen Körper gegeben, in den im Moment der Geburt oder der Empfängnis eine Seele eingefahren wäre, die davor auf Abruf im Himmel wartete. Wir haben also in der westlichen Kultur den Gedanken, dass wir etwas Weltfremdes sind, das in einem Körper steckt.“
Alan Watts hat einmal gesagt, dass wir nicht in die Welt hineingeboren werden, sondern aus ihr heraus. Der Körper, wie auch der Geist, stammt also aus dieser Welt. Beinahe alle unserer Gedanken entstehen aus Ansammlungen von Erinnerungen, die wir im laufe unserer Zeit auf diesem Planeten gesammelt haben. Auch Carl G. Jung sagte, dass der Mensch die Geschichte der Menschheit mit sich trägt (der Link führt zu Simons Artikel zu diesem Thema). Die Geschichte der Menschheit ist logischerweise nichts Weltfremdes, was Alan Watts Argument untermauert, dass wir aus der Welt herausgeboren wurden.
„Allerdings können wir uns nicht gänzlich sicher sein, ob wir unser Körper sind oder nicht. Ich kann reden, denken, sprechen und das tue ich selbst. Aber ich kann nicht mein Herz schlagen, meine Knochen formen oder mein Haar wachsen. Dies sind Sachen die mir passieren, von denen ich nicht weiß wie sie gemacht werden.“
In vielen philosophischen Schulen, hat aus eben diesem Grund die Atmung einen sehr hohen Stellenwert. Denn Atmen ist etwas das man aktiv machen kann, wenn man sich darauf konzentriert, allerdings hören wir nicht auf zu atmen, nur weil wir es nicht mehr aktiv machen. Deshalb gibt es eine Vielzahl von Atemtechniken, die zum Meditieren benutzt werden oder um sich dem jetzigen Moment bewusster zu werden.
„Man fühlt aber auch das alles, was außerhalb meines Körpers ist, definitiv nicht man selbst ist. Es gibt zwei Arten von Dingen außerhalb von sich selbst: Das erste sind andere Leute die ebenfalls einen kleinen Mann hinter ihrer Stirn haben. So wie man selbst, sind auch sie Intelligent, sie haben Gefühle und sind in der Lage zu lieben und Tugendhaft zu sein. Das andere was es außerhalb unseres Körpers gibt, ist alles das nicht menschlich ist; wir nennen es die Natur. Es hat keinen Verstand. Möglicherweise hat es Emotionen so wie Tiere aber es ist wild. Wenn man dann die Natur der Geologie anschaut, dann ist es so dumm wie etwas nur sein kann. Es ist ein Mechanismus den es zu beherrschen gilt. Der gesamte Sinn der Menschheit ist es die Natur unserem Willen untertan zu machen.“
Hast du schonmal in einer Fußgängerzone gesessen und die vorbeilaufenden Menschen beobachtet? Dann hast du dir vermutlich schonmal Gedanken gemacht, dass jeder einzelne von ihnen ein ebenso komplexes Leben führt, wie du. Und dann merkst du, dass dir die anderen gar nicht so fremd sind.
Bei Tieren, Gegenständen und Objekten sieht das ganz anders aus. Tendenziell können wir uns noch eher mit Tieren vergleichen, da sie einige Ähnlichkeiten mit uns teilen. Sie haben ein Organe und Gliedmaßen und können selbstständig handeln. Bei Objekten wie Häusern oder Bergen sehen wir kaum eine Ähnlichkeit, obwohl sie aus der gleichen Welt, dem gleichen Universum stammen, wie wir. Wir wollen diese Welt verändern. Nach unserem Belieben. Am besten indem wir nur mit dem Finger schnippsen.
„Es fühlt sich an, als wären wir in diese Welt gekommen. Wir fühlen uns nicht als würden wir hier her gehören. In den Worten des Poeten Houseman: „I’m a stranger and afraid in a world I never made (Ich ein Fremder, ängstlich in einer Welt die ich nie gemacht habe).“ Das ist eines der Symptome unseres falschen Gefühls der Identität, des Gefühls das wir etwas einsames sind, das in einem Sack aus Haut eingesperrt ist. Einsam und von einer uns fremden Welt konfrontiert, die nicht Ich ist.“
Beinahe alles was wir als Außenwelt wahrnehmen, wird in uns wahrgenommen. Es wird über unsere Sinne wahrgenommen und im Gehirn verarbeitet. In meinem Artikel „Sadhguru über Zufriedenheit und Unzufriedenheit“ wird unter anderem diese Verarbeitung in unserem Inneren behandelt. Schließlich gehören die Bäume ebenso zu unserem Atemsystem, wie es unsere Lunge tut. Die Sonne ist ebenso wichtig wie unsere Augen, damit wir sehen können. Der Apfel ist ebenso wichtig wie unsere Zunge, um zu schmecken.
Es ist also nicht so einfach, wie man glaubt, das Äußere vom Inneren zu trennen.
„In antiken Philosophien wie beispielsweise dem Buddhismus ist dieses Gefühl des einsamen Individuums eine Halluzination. Eine Halluzination, die aus verschiedenen Gründen ins Leben gerufen wird. Unter anderem wie wir erzogen werden. Unsere Eltern waren brennend daran interessiert uns zu identifizieren. Wer kennt es nicht: man war mit einer Gruppe Freunde draußen spielen und bewunderte ein anderes Kind in dieser Gruppe, man schaute zu ihm auf. Wenn man dann nach Hause kam, imitierte man das Verhalten des anderen Kindes. Woraufhin die Mutter sagte: „Das bist nicht du Peter das ist Johnny.“ Natürlich fühlen wir uns danach beschämt, weil man seine Mutter enttäuscht hat. Die wollte, dass du Peter, ihr Sohn, bist und nicht Johnny der Sohn von Frau Jones. Und so wie in diesem Beispiel gibt es eine Menge von Arten und Wegen in denen wir gezeigt kriegen, dass wir uns identifizieren sollen.“
Natürlich ist diese persönliche Identifizierung schon deutlich früher fest zu stellen als in dem Alter in welchem man mit Freunden draußen spielt. Häufig sind die ersten Worte die jemand lernt Mutter und Vater beziehungsweise Mama und Papa. Das Nächste was einer danach lernt ist sein eigener Name. In diesem Moment fängt man an sich getrennt von der Welt um sich herum zu sehen. Schließlich hat man nun etwas das einem vom Rest der Welt unterscheidet und das ist des falsche Gefühl der Identität.
„Zum Beispiel ist eines der wichtigsten Dinge die uns in der Kindheit beigebracht werden, dass wir etwas tun müssen, was aber nur dann geschätzt wird, wenn man es freiwillig tut. Einjeder muss seine Mutter lieben, aber es muss freiwillig geschehen. Jeder muss Wählen gehen doch man soll es freiwillig machen. Man muss Mitglied einer Demokratie sein, aber man sollte sich glücklich schätzen, es sein zu dürfen. Man muss seinen Gott lieben, aber allerdings sollte es freiwillig geschehen.“
Kann man wirklich von freien Willen reden, wenn es von einem erwartet wird, dass man es tut? Natürlich ist es wünschenswert, dass ein Kind seine Mutter liebt. Allerdings sollte es seine Mutter lieben, weil die Mutter sich liebevoll um das Kind kümmert. Nicht weil es dazu verpflichtet ist seine Mutter zu lieben, schlicht weil es das Kind zur Welt gebracht hat. Erst wenn man etwas aus freien Stücken macht, fühlt man sich dem was man macht, verbunden und nah. Um eben diese Verbundenheit und Nähe geht es. Diese Verbundenheit mit der Welt lässt uns, uns nicht als Außenseiter auf dieser Welt fühlen.
„Wenn dir also gesagt wird, wer du bist und dass du frei sein musst, dass du überleben musst, dass du weiterleben musst, dann wird das zu einer Art Zwang. Du gerätst durcheinander. Es wird zu einem Zwang, obwohl du doch Frei sein sollst. Das kommt daher, dass etwas von dir verlangt wird, dass du aus freien Stücken tun solltest. Dieser innere Widerspruch führt dazu, dass sich Menschen auf der ganzen Welt isoliert fühlen. Sie fühlen sich als Zentren des Bewusstseins, die in Säcken aus Haut eingeschlossen sind.“
Ich habe schon mit einigen Freunden und Bekannten über exakt dieses Phänomen gesprochen. Sobald man gezwungen ist etwas zu machen, verliert man den Spaß und die Freude daran. Stell dir vor du gehst in die Küche und siehst, dass die Spülmaschine ausgeräumt werden sollte. Doch genau in dem Moment wo du anfangen willst, kommt deine Mutter rein und sagt, dass du die Spülmaschine ausräumen sollst. In eben diesem Moment verliert man den Spaß daran, weil es von etwas freiwilligem zu einer Pflicht, einem Zwang wird. Leben sollte aus freien Stücken passieren und nicht weil es einem diktiert wird.
Eigene Gedanken
Es passiert schnell, dass man sich als Fremder in dieser Welt sieht. Schließlich haben wir kaum Möglichkeiten etwas an ihr zu ändern. Im Vergleich ist es verhältnismäßig einfach, etwas an sich selbst zu ändern. Das zumindest denken wir häufig, aber jeder der schon einmal versucht hat mit dem Rauchen aufzuhören oder regelmäßig Sport zu machen, weiß, dass wir auch über uns selbst nur wenig Kontrolle haben.
Was mir hilft wenn ich mich der Welt mal wieder ein wenig entfremdet fühle, ist es, mir vor Augen zu halten, dass jedes Atom meines Körpers aus diesem Universum stammt. Die Kohlenstoffatome die in meinem Körper sind, waren einst Teile von Planeten und Sternen die gestorben sind, sich im Universum verteilten und jetzt ein Teil von mir sind. Ein faszinierender Gedanke.
Es hilft auch sich vorzustellen, dass wir nicht einfach ein kleines Wesen sind, das aus dem großen Nichts in die Welt reingeboren wurden. Quasi ein externer Betrachter des Ganzen. Stell dir vor die Welt oder die Existenz sei eine Schnecke und du bist einer ihrer Fühler oder Augen. Du bist ein Teil des Ganzen, dass das ganze betrachtet. Du bist eines der Augen durch das sich die Existenz selbst betrachtet.
Dir hat der Artikel gefallen? Du kannst dich von uns über neue Artikel informieren lassen: