Ist der Stoizismus essentialistisch?
Alle Menschen haben eine unveränderliche, innere Natur, die bestimmt, wer sie sind und wie sie sich verhalten. Dies ist der Kerngedanke des Essentialismus. Essentialismus ist die Vorstellung, dass bestimmte Kategorien, wie z. B. Menschen, ein festes Wesen haben, das ihre Identität und Funktion bestimmt. Dieses Wesen bleibt stets unverändert, unabhängig von äußeren Umständen. Auch wenn diese Idee heute weitestgehend als überholt gilt, ist sie dennoch interessant.
Etliche Philosophien sind in ihrem Kern essentialistisch, aber wie sieht das beim Stoizismus aus?
Die Essenz des Stoizismus
Das Hauptmerkmal des Stoizismus ist die Ansicht, dass Tugend und ein Leben im Einklang mit der Natur und der Vernunft das höchste Ziel sind. Stoiker glauben Glück und inneren Frieden zu erreichen, wenn man seine Leidenschaften beherrscht und die Dinge akzeptiert, die man nicht ändern kann.
Im Stoizismus wird der Mensch als ein rationales Wesen betrachtet. Die Fähigkeit zur Vernunft und Tugendhaftigkeit macht den Menschen aus. Für die Stoiker ist diese Fähigkeit zur Vernunft eine Art inneres Potenzial, das jeder Mensch besitzt und entwickeln kann. Es ist diese Fähigkeit zur Tugend, die man vielleicht als eine Art wesentliche menschliche Eigenschaft betrachten könnte.
Essentialismus vs. Potential
Wenn Essenz als etwas Unveränderliches verstanden wird, könnte man argumentieren, dass der Stoizismus nicht essentialistisch ist, da er die ständige Entwicklung und Kultivierung der Tugend betont. Im Stoizismus geht es schließlich darum, ständig an sich selbst zu arbeiten, seine Gedanken zu überprüfen und sein Handeln zu verbessern. Somit unterscheidet sich diese dynamische Sichtweise von der Vorstellung eines festen, unveränderlichen Wesens.
Angenommen der Stoizismus beschreibt den Menschen als eine Pflanze, die das Potenzial hat, zu blühen, wäre dieses Potenzial aber doch irgendwie wie eine innere Essenz, die sich entfalten kann. Ob sie tatsächlich blüht, hängt jedoch von der Pflege und den Bedingungen ab. So sehen die Stoiker also den Menschen: mit einem inneren Potenzial für Tugend, das durch ständige Übung und Selbstreflexion zur vollen Entfaltung gebracht werden kann.
Praktisches Leben im Stoizismus
Im Alltag der Stoiker geht es mehrheitlich darum, die eigenen Leidenschaften zu beherrschen und Gelassenheit zu erlangen. Sie üben sich darin, zu akzeptieren, was sich ihrer Kontrolle entzieht, und konzentrieren sich auf das, was sie beeinflussen können – nämlich ihre eigenen Gedanken und Handlungen. So wird klar, dass die stoische Sichtweise recht dynamisch ist und auf ständiger Selbstverbesserung beruht.
Schlussfolgerung
Der Stoizismus kann also je nach Definition als essentialistisch oder nicht-essentialistisch angesehen werden. Wichtig ist, dass der Stoizismus den Menschen als ein Wesen betrachtet, das von Natur aus zur Tugend fähig ist, und dass dieses Potential durch die richtige Lebensführung und Selbstdisziplin verwirklicht werden kann. Diese Philosophie ruft daher zur ständigen Selbstverbesserung auf und vertritt die Auffassung, dass innerer Frieden durch die Beherrschung der eigenen Reaktionen erreicht wird.