Wieso Menschen egoistischer werden
Einer der Gründe wieso Menschen egoistischer werden (neben Entfremdung durch soziale Medien, Overpacing, etc.), ist, dass kaum jemand einen Nutzen sieht anderen zu helfen.
„Was springt für mich dabei heraus?“
Diese Frage – ob bewusst oder unbewusst gestellt – ist oft genug Grund für die Entscheidung jemand nicht zu helfen, jemanden nicht zu unterstützen. Das Problem an dieser Sache ist jedoch, dass wir die Situationen meist grundlegend falsch beurteilen.
Nehmen wir mal an, jemand fragt uns, ob wir beim Umzug helfen können. Wir lehnen ab. Leider keine Zeit am kommenden Samstag, geben wir als Rückmeldung, obwohl der eigentliche Grund ist, dass wir unseren letzten Umzug auch selbst bewältigen mussten, da niemand für uns Zeit hatte.
Was wir aber nicht bedenken ist folgendes. Würden wir doch beim Umzug helfen, hätten wir durchaus etwas davon. Zum einen wäre da der soziale Kontakt mit anderen Menschen. Typischerweise ist gemeinsame körperliche Arbeit eine gute Möglichkeit enger zusammenzuwachsen. Und zum anderen sind die meisten Umzüge, zumindest meiner Erfahrung nach, sehr lustig.
Das ist natürlich nur ein einzelnes Beispiel, aber es kann vom Prinzip her für die der Grossteil der Situationen angewandt werden, in denen man uns um Hilfe bittet oder wir sehen das jemand Hilfe gebrauchen könnte.
Das Problem ist also nicht, dass wir keinen Benefit hätten, sondern, dass wir irgendwie verlernt haben diesen zu sehen.
Ich bin der Meinung, dass hierfür eine Verschiebung unseres Fokus verantwortlich ist. Wir machen seit einer geraumen Zeit eine Entwicklung durch die gegenläufig zum technischen Fortschritt ist. Je mehr sie voranschreitet, desto mehr scheinen soziale Aspekte wie Solidarität in den Hintergrund zu rücken.
Stattdessen laufen ihnen Konsumismus und zwischenmenschliche Passivität den Rang ab.
Lukas hat bereits einen Artikel verfasst, in dem erläutert wird warum Menschen mit zunehmendem Wohlstand ich-bezogener werden, der an dieser Stelle sehr zu empfehlen ist.
Wir haben uns immer mehr darauf konditioniert instant gratification (zu deutsch „sofortige Befriedung“) zu erwarten. Auch hier ist der technische Fortschritt wesentlich beteiligt.
Der Mensch war schon immer mehr darauf aus dem Jetzt den Vorzug gegenüber dem Später zu geben. Das ist also schlicht menschliche Natur und macht sich durchaus Sinn, da das Jetzt garantiert ist und die Zukunft ungewiss. Aber dennoch ist das Ganze über die letzten zwei bis drei Jahrzehnte ins Extreme gekippt. Ich kenne das von mir selbst. Als Kind war es für mich völlig normal Dinge nicht sofort zu bekommen. Auf die heiß ersehnten Spielzeuge von der Wunschliste, die schon früh an den Weihnachtsmann ging, wurde monatelang gewartet. Und das nicht alle unter dem Baum landen war ebenfalls selbstverständlich.
Später dann, wurde meine Erwartungshaltung Dinge zu bekommen eine gänzlich andere. Sofortige Verfügbarkeit durch Übernachtlieferungen und die immer breiterer Akzeptanz von Kreditkarten und Konsumkrediten eliminieren nach und nach die einstige Geduld und Bereitschaft auf etwas zu sparen. Durch all das kommt es häufig zu einer Überbewertung von Dingen die sofort verfügbar und offensichtlicher sind. Alles das weiter in der Zukunft liegt oder ungewiss ist, zieht den Kürzeren. Beispielsweise wird die mögliche Aussicht auf die Erwiderung eines Gefallens, wie die Hilfe beim Umzug, weniger stark gewichtet, als der gemütliche Samstag vor dem Fernseher.
Mal ganz davon abgesehen, dass die körperliche Ertüchtigung beim Umzug wichtig wäre und der Tag vor dem Fernseher unseren meist ohnehin schon sitzender Lebensstil noch mehr verstärkt, gibt es hierbei aber noch ein ganz anderes Problem.
Durch das fehlende Gebrauchtwerden kann leicht eine gewisse Tristesse entstehen. Der Mensch will gebraucht werden. Sonst fehlt es uns an Sinn in unserem Leben, denn der Mensch strebt seit jeher danach seinem Dasein einen Sinn zu verleihen und anderen Helfen und mit ihnen ist bekanntermaßen ein äußerst guter.
Aber auch Katalysatoren wie das Aufkommen von Social Media und die Geschwindigkeit derer Adaption sind maßgeblich für den zu beobachtenden Trend den Blick für all das Lohnende zu verlieren, das in sozialen Gefälligkeiten liegt.
Mittelbare Kommunikation hat durch die neuen Medien Ausmaße erreicht, die man sich vor nicht allzu langer Zeit nicht hätte träumen lassen. Beispielsweise ist der Name Instagram gemäß techtarget.com eine Wortverschmelzung von „instant camera“ und „telegram“ und spiegelt den Zeitgeist perfekt wieder. Wir können uns nach belieben Selbst darstellen und mitteilen. Und das räumlich getrennt und zeitlich unabhängig. Zugegeben, das ist nicht zwingend eine neue Situation, denn bereits das Telefon und seit Jahrtausenden der Brief haben diese distanzierte Form der Kommunikation geschaffen. Aber heute wird ein sehr viel größeres Maß an Kommunikation auf diese Form ausgelagert. Während früher nur wichtigstes über Briefe und Telefonie abgewickelt wurden, findet heute auch alltäglicher Austausch zunehmend indirekt statt. Ich möchte das Internet und seine Errungenschaften nicht verteufeln und das Selbe gilt auch für Social Media. Gelingt uns ein achtsamer Umgang haben wir äußerst potente neue Werkzeuge. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass wir durch sie Erweiterungen unserer Selbst erlangt haben und somit extrem bereichernd sein können.
Der beste mir bekannte Ansatz für die gewünschte Achtsamkeit ist Reflexion und Verzicht. Wir sollten uns stets bewusst bleiben, dass das soziale Miteinander nicht komplett über unsere elektronische Begleiter erfolgen sollte. Um das zu bewerkstelligen sollten wir unsere elektronische Nutzung absichtlich limitieren – und nicht nur das. Wir sollten uns auch darin beschränken, was wir unserem sozialen Umfeld mitteilen. In einem Gespräch mit Lukas, machte er darauf aufmerksam, dass es sich lohnt Erlebtes nicht immer direkt via Sprachnachricht, etc. mit unseren Mitmenschen zu teilen. So können wir beispielsweise die guten Nachrichten der erhaltenen Gehaltserhöhung für den Abend aufsparen, wenn wir daheim sind. So können wir der Partner:in aus erster Hand berichten, die Reaktion wirklich aufnehmen und den Moment echt miteinander teilen. Lagern wir ihn stattdessen elektronisch aus, nur um uns sofort und gleich mitzuteilen, berauben wir den Moment seiner Fülle und Echtheit, die Gespräche von Angesicht zu Angesicht werden flach und zunehmend leer. Der Verzicht im Umgang mit den modernen Kommunikationsmitteln, inklusive Social Media ist also lohnend.
Aber man kann den Verzicht auch auf andere Bereich ausweiten. Ich versuche heute beispielsweise bewusst auf Dinge zu verzichten die ich nicht brauche, um so dieser gesellschaftlichen Konditionierung entgegenzuwirken. Auch achte ich stets darauf ausreichend langwierige Projekte zu verfolgen, die nicht schnell zu erledigen sind, sondern Fleiß und Ausdauer bedürfen. Beispiele sind hier Fitness, Kochen oder das Schreiben von Büchern.
Das schlägt den Bogen zurück zur Instant Gratification. Alles sofort und gleich zu bekommen bringt uns in unserer Entwicklung nirgends hin. Tugendhaftigkeit, wie Geduld und Beständigkeit beziehungsweise Ausdauer. Kant sagte, wie auch einst Aristoteles, dass es wichtig sei, an der eigenen Tugendhaftigkeit zu arbeiten, da dies Glückseligkeit mit sich brächte.
Schulen wir uns hierdurch auch nicht so offensichtliches zu sehen. Wie die Benefits doch bei Umzug zu helfen.
„The meaning and purpose of dancing is the dance. Like music also, it is fulfilled in each moment of its course. You do not play a sonata in order to reach the final chord, and if the meaning of things were simply in ends, composers would write nothing but finales.”
ALAN WATTS
„Der Sinn und Zweck des Tanzes ist der Tanz. Wie in der Musik erfüllt er sich in jedem Augenblick seines Verlaufs. Man spielt eine Sonate nicht, um den Schlussakkord zu erreichen, und wenn der Sinn der Dinge nur im Ende läge, würden die Komponisten nichts als Schlussakkorde schreiben.“
Es ist also recht gut nachvollziehbar wie es dazu kommt, dass wir oft keinen Nutzen darin sehen unsere Hilfe zuzusagen. Nur blöd ist, dass wir meist den Nutzen, der durchaus in den meisten Fällen vorhanden ist, einfach nur übersehen. Somit ist unser Verhalten nicht nur aus gesellschaftlicher sondern auch egoistischen Sicht schlecht. Unser Unvermögen gute und eigennützige Gründe für mehr Solidarität zu sehen schadet uns selbst.
Gehen wir nochmals zum Beispiel mit dem Umzug zurück, bei dem wir unsere Entscheidung damit rechtfertigen, dass uns auch niemand half. Das ist Rückwärts gedacht. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn uns keine Gefälligkeiten getan werden, wenn wir selbst niemanden unsere Hilfe anbieten oder nach Anfrage Hilfe zukommen lassen. Irgendjemand muss den Anfang machen. Warum nicht wir selbst? Der Lohn ist da. Ob wir ihn sehen oder nicht.
Falls du mehr zum Thema lesen möchtest findest du hier einen passenden Artikel von Lukas.
Und falls du der Meinung bist, dass wir nicht immer eigennützig handeln sollten, sondern auch Altruismus und Nächstenliebe einen gesunden Anteil unserer Handlungen motivieren sollten – ganz ohne Eigennutz, so bin ich absolut deiner Meinung. Aber das ist ein Thema für ein anderes Mal.
Lass uns gerne deine Gedanken in den Kommentaren wissen.