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Die Macht des Aufschiebens von Wut: Was wir aus dem Zitat von Seneca lernen können

Es besteht kein Zweifel, dass Wut eine natürliche Emotion ist, die wir alle von Zeit zu Zeit erleben. Es ist aber auch wahr, dass Wut oft zu übereilten, zerstörerischen Entscheidungen führt, die wir später bereuen.

Hier kommt das folgende Zitat von Seneca ins Spiel:

„Das beste Mittel gegen Zorn ist Aufschub.“

Lucius Anneaus Seneca

Der römische Philosoph, Staatsmann und Dramatiker war der Meinung, dass wir in Momenten des Zorns einen Schritt zurücktreten und uns abkühlen sollten, bevor wir handeln. Aber wieso genau soll das funktionieren und was können wir daraus lernen?

Seneca erkannte die zerstörerische Natur des Zorns und wie wichtig es war, das Ausdrücken von Zorn zu verzögern. Er war der Meinung, dass wir am besten mit Wut umgehen, wenn wir uns Zeit nehmen, unsere Gefühle zu verarbeiten und rational zu denken, bevor wir reagieren.

Senecas eigene Lebenserfahrungen zeigen, wie wirksam und wichtig dieser Ansatz ist. Als Senator und Berater des Kaisers Nero erlebte er aus erster Hand die Folgen von impulsivem Handeln in Momenten des Zorns. Er erkannte den potenziellen Schaden, den überstürzte und voreilige Entscheidungen anrichten können, besonders in Machtpositionen.

Senecas eigene Kämpfe mit dem Zorn sind gut dokumentiert. In seinen Briefen an seinen Freund Lucilius schrieb er oft über seine eigenen Kämpfe mit dem Zorn und die Notwendigkeit, seine Reaktionen hinauszuzögern.

In Brief 18 schreibt Seneca zum Beispiel über einen Fall, in dem er wütend auf seine Frau war, aber anstatt impulsiv zu reagieren, ging er spazieren und ließ sich Zeit, um sich abzukühlen, bevor er die Situation ansprach.

In Brief 47 schreibt er darüber, wie wichtig es ist, den Zorn hinauszuzögern und dass unsere erste Reaktion oft die zerstörerischste ist.

Darstellung: Seneca

Es ist also wichtig zu verstehen, was Seneca mit diesem Zitat ausdrücken wollte. Wut zu zügeln bedeutet, dass du dir Zeit nimmst, dich zu beruhigen und nachzudenken, bevor du impulsiv reagierst. Indem du dir zwischen deiner ersten emotionalen Reaktion und deinen Handlungen Zeit nimmst, kannst du alternative Ergebnisse in Betracht ziehen und rationalere Entscheidungen treffen. Mit anderen Worten: Wenn du eine Pause machst, kannst du vermeiden, etwas zu sagen oder zu tun, was du später bereuen könntest.

Ein Beispiel: Stell dir vor, du bist bei der Arbeit und erhältst eine kritische E-Mail von einem Kollegen. Deine unmittelbare Reaktion könnte sein, eine wütende Antwort abzufeuern oder dich bei einem Kollegen Luft zu machen. Aber wenn du deine Wut zurückhältst und tief durchatmest, erkennst du vielleicht, dass die Situation komplizierter ist, als sie zunächst scheint. Vielleicht hatte dein Kollege oder deine Kollegin einen harten Tag und seine oder ihre Nachricht war schlecht formuliert. Wenn du dir Zeit zum Nachdenken nimmst, kannst du ruhig und besonnen reagieren, was die Situation entschärfen und letztendlich eurer Arbeitsbeziehung zugute kommen kann.

Außer der Vermeidung bedauerlicher Handlungen kann das Hinauszögern von Ärger auch unserer psychischen Gesundheit förderlich sein. Wenn wir unserem Ärger nachgeben, erleben wir oft eine Flut von stressigen Emotionen, die unseren Körper und unseren Geist belasten können. Wenn wir dagegen einen Schritt zurücktreten und Achtsamkeit oder andere beruhigende Techniken praktizieren, können wir Stress abbauen und sogar Glücksgefühle und Zufriedenheit auslösen.

Was dieses Zitat jedoch nicht bedeutet, ist es die Wut herunterzuschlucken und gar nicht zu reagieren.

Im Gegenteil, das gilt es zu vermeiden. Die Unterdrückung von Wut kann negative Folgen für Körper und Geist haben. Laut einer Studie, die im Journal of Psychosomatic Research veröffentlicht wurde, kann die Unterdrückung von Wut zu einem erhöhten Blutdruck und einer erhöhten Herzfrequenz und das wiederum das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen kann (Quelle: Lutgendorf, S. K., et al. (1999). Effects of social support, anger expression, and personality on physiological reactivity in healthy adults. Journal of Psychosomatic Research, 46(2), 155-167.). Außerdem ergab eine im Journal of Abnormal Psychology veröffentlichte Studie, dass die Unterdrückung von Wut zu verstärkten Symptomen von Depression und Angst führen kann (Quelle). Auch kann die Unterdrückung von Wut zur Folge haben, dass die Wut auf andere Weise Auswirkungen hat, z. B. durch passiv-aggressives Verhalten oder Drogenmissbrauch (Kassinove, H., & Tafrate, R. C. (2002). The misunderstood role of anger in psychotherapy. American Psychologist, 57(9), 705-714.).

Wir müssen gesunde Wege zu finden, um Wut und Zorn auszudrücken und zu bewältigen, anstatt sie zu unterdrücken. Und hier setzt das Zitat wieder an, denn es ist typischerweise schlecht Wut augenblicklich nachzugeben und aus dem Affekt heraus zu reagieren.

Stattdessen gilt es eine kurze Weile innezuhalten und zu reflektieren warum wir wütend sind und zu beurteilen, ob wir nicht vielleicht etwas in den falschen Hals bekommen haben oder einfach überreagieren.

In überraschend vielen Fällen verpufft so der meiste Zorn bereits. Bestätigt sich aber dann, dass wir zurecht zornig sind, ist es an der Zeit einen geeigneten Weg zu finden, sich abzureagieren. Typischerweise ist hierfür körperliche Ertüchtigung ideal, aber gleichzeitig oft etwas an dem es uns im modernen Alltag mangelt.

Haben wir unseren Frust beim umgraben des Gartens, im Fitnessstudio oder einfach am Kopfkissen ausgelassen, ist es wichtig mit der Person das Gespräch zu suchen, die uns zornig gemacht hat und zu erklären, was genau uns gestört hatte.

War es nicht eine Person die für unseren Zorn verantwortlich war, sondern eine bestimmte Situation oder Sache, dann bietet sich an mit einer vertrauten Person darüber zu reden oder, falls das nicht möglich ist, die Gefühle und Gedanken zu diesem Thema aufzuschreiben. So bewältigst du deinen Zorn, statt ihm freien Lauf oder ihn brodeln zu lassen.

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Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir aus Senecas Zitat „Das beste Mittel gegen Zorn ist Aufschub“ viel über die Kraft der Achtsamkeit und Selbstbeherrschung lernen können. Wenn wir einen Schritt zurücktreten und uns Zeit geben, unsere Gefühle zu verarbeiten, können wir rationalere Entscheidungen treffen und bedauerliche Handlungen vermeiden.

Das Aufschieben von Wut kann auch unserer geistigen Gesundheit zugute kommen und uns ermöglichen, Freude und Dankbarkeit in jedem Tag zu finden.

Wenn du also das nächste Mal spürst, wie der Ärger in dir hochkocht, erinnere dich an Senecas Worte und atme tief durch, denn diese Erkenntnis über die zerstörerische Natur des Zorns und die Bedeutung des Aufschubs seines Ausdrucks ist heute noch genauso aktuell wie im alten Rom.

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