Das psychologische Phänomen wegen dem Napoleon scheiterte: Illusorische Überlegenheit
Hattest du schon einmal das Gefühl, dass du schlauer, attraktiver oder geschickter bist als die meisten Menschen? Wenn ja, hast du vielleicht die Erfahrung der illusorischen Überlegenheit gemacht.
Das ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen ihre eigenen Fähigkeiten oder Qualitäten überbewerten. Illusorische Überlegenheit kann sich auf verschiedene Aspekte unseres Lebens auswirken, z. B. auf unser Selbstwertgefühl, unser Selbstvertrauen und unser soziales Miteinander.
Sogar berühmte historische Persönlichkeiten fallen diesem Phänomen zum Opfer – beispielsweise der damalige französische Kaiser Napoleon Bonaparte. Aber warum neigen wir dazu, unser Selbstbild aufzublähen? Und was sind die Folgen einer unrealistischen Selbsteinschätzung? In diesem Artikel werden wir einige mögliche Erklärungen und Auswirkungen der illusorischen Überlegenheit untersuchen.
Was ist illusorische Überlegenheit?
Illusorische Überlegenheit (auf Englisch „Illusory Superiority“) ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen und die Fähigkeiten ihrer Mitmenschen zu unterschätzen. Psychologen haben diesen Effekt ausgiebig untersucht und festgestellt, dass er in der Regel auf eine Kombination aus eigennütziger Voreingenommenheit und der Unfähigkeit, die eigenen Fähigkeiten mit denen anderer zu vergleichen, zurückzuführen ist.
Wie funktioniert illusorische Überlegenheit?
Im Kern funktioniert die illusorische Überlegenheit so, dass wir unsere eigenen Erfolge zu stark gewichten – was dazu führt, dass wir uns im Vergleich zu Gleichaltrigen überlegen fühlen, obwohl wir eigentlich nicht besser sind als sie. Dies führt oft zu unrealistischen Erwartungen, wenn wir uns mit anderen vergleichen, da die Menschen dazu neigen, einen objektiven Vergleich durch subjektive Überzeugungen über ihre eigenen Fähigkeiten zu ersetzen – was in der Regel wiederum zu Gefühlen der Enttäuschung oder des Neids führt, wenn dann die Realität nicht dem entspricht, was wir uns vorgestellt haben.
Andere Theorien lassen annehmen, dass dieses Verhalten meist unbewusst zeigen, da Menschen sich ihrer tatsächlichen Position im Vergleich zu anderen einfach nicht bewusst sind – vor allem, wenn sie nicht genug externe Vergleiche angestellt oder sich nicht ausreichend mit dem Bereich beschäftigt haben, in dem sie sich selbst bewerten wollen. Zum Beispiel könnte jemand denken, dass er ein guter Autofahrer ist, nur weil er auf den örtlichen Straßen gut fahren kann, ohne zu wissen, wie viel besser professionelle Fahrer auf ähnlichem Terrain sein können.
Illusory Superiority geht oft mit dem Dunning-Kruger Effekt einher, durch welchen man seine Fähigkeiten in einem gewissen Gebiet unter- oder überschätzt, je nachdem wie gut man die Materie kennt, oder eben nicht. Wir schauen uns den Dunning-Kruger Effekt hier im Detail an.
Weitere Beispiele von Illusory Superiority
Ein klassisches Beispiel für die katastrophalen Auswirkungen die illusorische Überlegenheit haben kann war Napoleons-Feldzug.
Natürlich gab es etliche Faktoren, aber ein mit Sicherheit ausschlaggebender war der Effekt der illusorischen Überlegenheit. Napoleon beschloss 1812, mit einer riesigen Armee von etwa 600.000 Soldaten in Russland einzufallen. Er scheint geglaubt zu haben, dass er ein überlegener militärischer Führer und Stratege war und dass seine Armee unbesiegbar und loyal sei. Vielleicht hat er auch die Herausforderungen und Schwierigkeiten unterschätzt, die der Kampf in einem riesigen und feindlichen Gebiet gegen einen entschlossenen und widerstandsfähigen Feind mit sich bringt. Vom russischen Winter mal ganz zu schweigen…
Napoleons illusorische Überlegenheit kollidierte jedenfalls bald mit der Realität. Seine Armee musste viele Entbehrungen und Verluste hinnehmen: Krankheiten, Hunger, Desertion, Guerillaangriffe durch den Feind und schlechtes Wetter. Die russische Armee zog sich zurück und vermied eine direkte Konfrontation, brannte aber Ernten und Dörfer nieder, um den Angreifern den Nachschub zu entziehen. Als Napoleon schließlich Moskau erreichte, fand er die Stadt verlassen und in Brand gesetzt vor. Er wartete auf ein Friedensangebot, das nie kam und beschloss dann irgendwann, sich zurückzuziehen. Sein Rückzug sollte aber noch katastrophaler werden als sein Vormarsch, da er von der russischen Armee und der Winterkälte bedrängt wurde. Von den 600.000 Soldaten, die in Russland einmarschierten, kehrten nur etwa 20.000 lebend zurück.
Ein weiteres Beispiel, in dem die illusorische Überlegenheit schädlich sein kann, ist die Bewerbung um einen Arbeitsplatz. Viele Menschen glauben, dass sie qualifizierter, geschickter oder erfahrener sind, als sie es tatsächlich sind, und bewerben sich auf Stellen, die ihre Fähigkeiten übersteigen. Das kann dazu führen, dass sowohl die Bewerber:innen als auch die Arbeitgeber:innen Zeit, Ressourcen und Chancen vergeuden. Außerdem kann hier die illusorische Überlegenheit Bewerber/innen davon abhalten, ihre Schwächen zu erkennen und ihre Leistung zu verbessern.
Vorteile und Risiken
Zu erkennen, wie illusorische Überlegenheit funktioniert, kann uns helfen, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben und uns besser auf unsere Ziele zu konzentrieren – denn so geraten wir nicht in Situationen, in denen wir übermäßig selbstbewusst werden und Fehler machen, die leicht hätten vermieden werden können.
Allerdings kann ein übermäßiges Bewusstsein über dieses Phänomen auch dazu führen, dass manche Menschen zu niedergeschlagen sind und sich selbst unterschätzen, was sie ungewollt von Gelegenheiten abhält, die sie sonst mit Bravour gemeistert hätten, wenn sie sich selbst eine Chance gegeben hätten.
Um illusorische Überlegenheit zu vermeiden, sollte man sich der häufigen Anzeichen und Ursachen dieser Voreingenommenheit bewusst sein, wie z.B. Egozentrik, Fokalismus (das übermäßige Fokussieren auf eine bestimmte Prognose oder Annahme) und fehlendes Feedback. Außerdem sollte man sich um objektive Beweise und Feedback von anderen bemühen, vor allem von denjenigen, die in einem bestimmten Bereich besser ausgebildet oder erfahrener sind.
Und wir sollten bereit sein, unsere Fehler einzugestehen (das kann uns übrigens sympathischer machen, wir dieses psychologische Phänomen belegt) und aus ihnen zu lernen sowie die Stärken und Leistungen anderer zu würdigen. Auf diese Weise können wir eine genauere und ausgewogenere Selbsteinschätzung entwickeln und die Fallstricke einer illusorischen Überlegenheit vermeiden.
Wie siehts bei dir aus? Gibt es eine bestimmte Situation, in der du diesem psychologischen Phänomen zum Opfer gefallen bist?