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Stress und die Leistungsgesellschaft: Probleme unserer Zeit?

Dass unsere Gesellschaft stark durch Leistung definiert wird ist keine große Neuigkeit. An und für sich ist auch nichts schlechtes daran Leistung zu erbringen, aber es ist wichtig die Grenze seiner Kapazitäten zu kennen. Nur wer Nachhaltig Leistung erbringt kann dies auch langzeitig machen.

Was ist die Leistungsgesellschaft?

Als Leistungsgesellschaft wird eine Form der Gesellschaft verstanden, in der der Status des Individuums von Einkommen und Einfluss definiert wird.

Das Einkommen wird über die wirtschaftliche Leistung erarbeitet. Häufig wird uns schon im Kindesalter gesagt, dass wir uns am besten von Anfang an in der Schule anstrengen sollen, damit wir später einmal einen „guten Beruf“ haben können. Uns wird mehr oder weniger gesagt, dass dies der Weg zu einem erfüllten Leben sei.

Da der Beruf in späteren Jahren einen großen Teil unseres Tages ausmacht, ist auch absolut nichts verkehrt daran, einen Job anzustreben der uns erfüllt.

Prinzipiell lässt sich feststellen, dass man je mehr wirtschaftliche Leistung man erbringt, umso mehr Geld verdient. Also je mehr Güter man herstellt, oder verkauft, umso mehr Einkommen wird man auf lange Sicht haben.

Doch das Einkommen ist nicht das Einzige, was den Status in der Leistungsgesellschaft definiert, denn auch der Einfluss hat einen sehr hohen Stellenwert. Häufig sind Einkommen und Einfluss eng aneinander gebunden, doch es gibt auch regelmäßige Ausnahmen. So sind beispielsweise viele ehrenamtliche Aufgaben hoch angesehen, da man auch ohne Entgelt der Gesellschaft dienlich ist.

Wer also der Gesellschaft etwas gutes tut, oder in anderen Worten, wer anderen hilft hat einen höheren Status in der Gesellschaft als jemand der weniger hilft. Dies ist von großem Vorteil, da es eine einigermaßen gute Art ist, die Arbeitsleistung durch persönliche Vorteile zu vergüten und im gleichen Zuge zu gewährleisten, dass alle Menschen innerhalb dieser Gesellschaft in eine Richtung arbeiten bei der sich alle einig sind, diese zu erreichen.

Das „Endziel“ der Leistungsgesellschaft ist es, dass alle Menschen in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können. Dies wird dadurch erreicht, dass Frieden die Produktivität steigert, da man sich nicht mit Kriegen beschäftigen muss. Freiheit sorgt dafür, das jeder Mensch mit jedem Menschen in gegenseitigem Einverständnis Handel treiben kann. Und zu guter Letzt sorgt die erwirtschaftete Leistung dafür, dass die Produktivität innerhalb der Gesellschaft in einem so umfassenden Rahmen zunimmt, dass niemand mehr Hungern, Frieren oder Krankheit ertragen muss.

Die Probleme an der Leistungsgesellschaft

Doch wenn die Leistungsgesellschaft an und für sich so viele gute Dinge mit sich bringt, was sind dann die negativen Aspekte?

Die Exklusion

Dadurch, dass der Status durch Leistung bestimmt wird, sind all jene die weniger (wirtschaftliche) Leistung erbringen können, automatisch von geringerem Status als all diejenigen, welche mehr Leistung erbringen können. Körperlich beeinträchtigte Menschen werden also oft ohne jegliches Selbstverschulden von der Gesellschaft dazu verurteilt, nicht im vollen Umfang an diesem „Spiel“ teilzunehmen. Kein Mensch sollte wegen Faktoren, die außerhalb seines eigenen Einflusses liegen, verurteilt werden. Auch wenn dieses Urteil nicht offensichtlich stattfindet, so ist es Implizit in den maximalen Aufstiegsmöglichkeiten enthalten.

Steigende Stresslevel

Ein weiteres Problem ist, dass der permanente Druck Leistung zu erbringen, auf lange Sicht sehr schadhaft für die Psyche ist. Dieses Problem zeigt sich hervorragend in Statistiken über psychische Erkrankungen:

In den letzten 20 Jahren nimmt die Anzahl der psychischen Erkrankungen immer weiter zu. In den letzten drei Jahren ist dies unter anderem auch der Corona Pandemie zuzuschreiben. Und auch andere Events, wie Zukunftsängste durch Klimawandel, sind sicherlich Faktoren, die für die steigenden Zahlen zuständig sind. Doch laut Statistiken allein die Burnout-Rate ist von 0,6% im Jahr 2004 der Arbeitenden Bevölkerung auf 5,9% im Jahr 2019 gestiegen. Das ist besonders interessant, da Burnout direkt auf das Arbeitsleben zurückzuführen ist.

Doch wie kommt dieser Stress in der Arbeitswelt zustande? Am leichtesten können wir dies anhand eines Beispiels verstehen.

Firma Stahl hat drei Angestellte: Anton, Bernd und Chris. Anton arbeitet deutlich härter als die anderen. Der Firmenchef sagt deshalb Bernd und Chris sehr oft, dass sie doch fleißiger und härter Arbeiten sollen. Dass Bernd und Chris in ihrem privaten Leben schon mehr Stress, durch Familie oder Krankheit ausgesetzt sind, sieht der Chef nicht.
Nach einiger Zeit kündigt Chris, weil er mit dem Druck nicht mehr klar kommt. Während der Chef nach einem neuen Arbeiter sucht, fällt ihm auf das Anton und Bernd die Arbeit auch zu zweit erledigt kriegen. Allerdings sorgt das nochmals erhöhte Stresslevel dafür, dass Bernd dem Chef sagt, dass er unter solchen umständen auch kündigen wird. Aus diesem Grund wird doch noch ein neuer Arbeiter organisiert. Dieter und Tom werden eingestellt.
Weil der Chef nun aber Blut geleckt hat, und gesehen hat, zu welchem Potential die Arbeiter fähig waren. Lernt er Dieter und Tom unter bereits stressigeren Faktoren ein, als Anton, Bernd und Chris ursprünglich eingelernt wurden.
Nach einiger Zeit kündigt dann auch Bernd weil, obwohl neue Arbeiter eingestellt wurden, dass Arbeitspensum nicht reduziert wurde. Infolgedessen wird wieder ein neuer Arbeiter eingestellt, welcher aber immer noch auf dem Erhöhten Stresslevel eingelernt wird.

Wie man in diesem Beispiel sehr schön sieht, wird in der modernen Arbeitswelt die Produktivität unausweichlich gesteigert. Alles wird optimiert, Maschinen, wie auch Menschen müssen mehr Leistung erbringen, um immer noch höhere Margen zu erzeugen. Diejenigen, die aus diesem Dauerlauf aussteigen, werden durch willige Arbeitskräfte ersetzt. Diese können diesen Stress allerdings auch nicht auf ewig aushalten. Doch auch wenn sie gehen, werden sie einfach wieder ersetzt.

Der ohnehin schon bestehende Fachkräftemangel feuert dieses Problem weiter an: Da die meisten Arbeitsplätze schon dünn besetzt sind, ist es der Fall, dass jeder neue Angestellte schon mehr Leistung erbringen muss, als in einer voll besetzten Firma.

Hustle Culture

Menschen, die sich kaum durch Freunde, Hobbies oder Sonstiges definieren können, tendieren dazu sich durch ihre Leistung zu profilieren. Diese Menschen nehmen viel mehr Arbeit auf sich, als die meisten. Ihr ganzer Lebenssinn scheint sich temporär ausschließlich um dieses Ziel zu drehen.

In der modernen Sprache nennt man dies, das „Hustler-Mindset“. Da es in diesem Beitrag eher um die Leistungsgesellschaft als Ganzes gehen soll, werde ich nicht weiter darauf eingehen. Solltest du dich aber mehr für die Hustle Culture interessieren, dann empfehle ich dir diesen Beitrag zu lesen.

Der Fachkräftemangel

Ein weiters Problem der Leistungsgesellschaft, dass sich in den letzten Jahren immer stärker heraus kristallisiert, ist der bereits angesprochene Fachkräftemangel. Da der Status einer Person sich über die erbrachte Leistung definiert, ist es für viele Leute schlecht angesehen einen Ausbildungsberuf zu erlernen. Am besten geht man studieren und arbeitet in einem White Collar Beruf – also als Arzt, Anwalt oder ähnliches

Laut einer Studie des „Bund und Länder Demografie Portal“ begannen im Jahr 2020 in Deutschland 466 000 Menschen eine Ausbildung, im gleichen Jahr starteten 490 000 Menschen ein Studium. Inzwischen streben mehr Menschen ein Studium als eine Ausbildung an. Das Problem hierbei ist, dass viele der Studierten im späteren Leben weder die Zeit noch die Kompetenz haben, Dinge in ihrem Haushalt zu reparieren. Es bedarf also ausgebildeter Fachkräfte wie Klempner/innen, Kfz-Mechaniker/innen, Elektriker/innen, Schreinern/innen, Malern/innen und so weiter.

Wenn aber weniger Menschen eine Ausbildung anstreben, geschweige denn eine handwerkliche, dann wird der Mangel an Fachkräften die Infrastruktur – wie wir sie heutzutage haben, schätzen und für selbstverständlich nehmen – zum bröckeln bringen.

Dass wir Wasser aus der Leitung, Strom aus der Dose, Wärme aus der Heizung und Essen aus dem Supermarkt kriegen, liegt in den Händen von Menschen und ihren Professionen. Professionen in denen immer weniger Menschen arbeiten, zum Einen, weil sie nicht genug Prestige erhalten und zum anderen, weil sie nicht gut genug bezahlt werden. Doch sparen wir hier nicht am falschen Ende?

Schließlich werden wir nicht nur mit längeren Wartezeiten rechnen müssen, wenn wir auf einen Handwerker warten, sondern auch mit höheren Kosten. Außerdem können manche Schäden größer werden, wenn sie nicht schnellstmöglich repariert werden. So kann beispielsweise ein Rohrbruch der nicht schnell genug repariert wird, die Wände wie auch den Boden beschädigen und verursacht somit immense Mehrkosten.

Notwendige Veränderungen der Gesellschaft

Vor allem anderen ist es wichtig, dass wir anfangen Menschen als Menschen zu sehen. Nicht als Potential, dass diese Person der Gesellschaft zurück geben kann. Menschen haben deutlich mehr Facetten als ihre Produktivität. Manche Menschen können Musik produzieren, durch die wir uns lebendig fühlen. Manche anderen können so gute Witze erzählen, wie es nur wenige können. Und so weiter.

Eine Mutter die drei Kinder erzieht, hat schlichtweg nicht die Kapazität einen Vollzeit-Job zu arbeiten. Ist die Erziehung ihres Nachwuchses weniger Wert als jemand der die Buchhaltung von Unternehmen kontrolliert?

Es ist selbstverständlich, dass keine Firma eine Mutter Geld zahlen würde, nur weil sie eventuell neues potentielles Personal groß zieht (vielleicht wäre das aber eine tolle Aufgabe für den Staat, was denkst du?). In allen Fällen aber, kostet die Wertschätzung, die man ihr entgegen bringen kann, nichts – ist aber viel wert.

So wie auf die Mutter, schauen wir auch auf viele andere Berufe oder Berufungen herab. Schließlich sieht niemand einen Bahnarbeit, Müllabfuhr oder einen Kanalisationsarbeiten als eine erstrebenswerte Beschäftigung, doch genau diese Berufe sind es, die unser Leben voller Luxus und Wohlstand ausmachen. Müllmänner und -Frauen haben mehr Leben gerettet, als Ärzte es jemals könnten.

Mindestens genau so wichtig ist es, seine eigenen Grenzen zu kennen und diese seinen Vorgesetzten klar sagen zu können. Ein Phänomen welches sich immer weiter verbreitet ist das Quite Quitting, bei welchem Arbeiter/innen nur noch das vertraglich geregelte Minimum an Arbeit erledigen und sich meistens schon nach neuen Stellen umschauen, da sie in ihrem Job nicht mehr glücklich sind. Solltest du dich mehr für dieses Thema Interessieren dann schaue doch in unserem Artikel zu Quiet Quitting vorbei.

Obwohl wir immer mehr hochproduktive Maschinen haben, welche deutlich mehr Güter produzieren als es die Arbeiter und Arbeiterinnen vor 70 Jahren gemacht haben, arbeiten wir immer noch 40-Stunden-Wochen (obwohl diese als Minderung der Arbeitslast, durch den technische Fortschritt der Industrialisierung eingeführt wurde).

Die Stresslevel in den meisten Berufen steigen ebenfalls. Wobei man doch annehmen müsste, dass, wenn die Maschinen mehr Arbeit übernehmen, die Menschen mehr Freizeit haben sollten und damit weniger gestresst wären.

Das kommt daher, dass obwohl wir immer mehr haben, wir immer noch mehr wollen. In jeglichen Medien kriegen wir vorgelebt, dass wir mehr haben könnten, dass unser Glück auf Knopfdruck bestellbar sei. Glück ist allerdings nichts was man sich erarbeiten, geschweige denn kaufen kann. Glücklicherweise (Wortspiel beabsichtigt) befindest du dich hier auf einem Philosophie-Blog. Falls du selbst auf der Suche nach einem glücklicheren Leben bist, haben wir dir hier eine kleine Auswahl an Artikeln, die du durchstöbern kannst:

Gibt es einen Weg zum Glücklichsein? (Buddha’s Antwort)

Buddha über das Glücklichsein und Eigenverantwortung

Siddhartha erklärt wie wir Freude in unser Leben kriegen

Chuang Tzu über Glück und das Streben nach Glück (wie du glücklich wirst)

Zhuangzi: das Streben nach Glück – Philosophie einfach erklärt

Epikur über Materialismus: Wie du mit wenig glücklich wirst

Zu guter Letzt ein Paar Gedanken zum mitnehmen:

  • Definiere dich nicht über deinen Status oder deine Leistung. Du selbst entscheidest wie du dich wahrnimmst und damit auch wie andere dich Wahrnehmen.
  • Sei Stolz auf das was du tust und was du bist.
  • Belade dich nicht selbst mit Lasten die außerhalb deines Einflussbereichs stehen.
  • Wenn die Welt mal wieder den Anschein weckt zu viel zu werden dann gehe einen Schritt zurück, atme tief durch und realisiere, dass du nichts musst.
  • Alles was du tust ist Freiwillig.
  • Du kamst mit nichts in diese Welt und du wirst sie mit nichts verlassen, all die Zeit die du auf dieser Welt hast ist ein Geschenk. Also nutze deine Zeit weise und renne nicht irgendwelchen Idealen hinterher die dir andere vorgeben.
  • Egal was du arbeitest, errichtest, erreichst, was du tust oder nicht tust; Du bist genug.

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